Unsere Jüngste „Bewohnerin“ Emma

Kollegin Dagmar Wüstenberg, Leitung der Sozialen Betreuung, hat uns einen emotionalen Bericht über die jüngste “Bewohnerin” im home Lurup zugeschickt:

Während meiner beruflichen Tätigkeit als Hausleitung einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz habe ich spontan auf einem Flohmarkt eine Reborn Puppe gekauft.

Diese Puppen wiegen zwischen 2 und 3 kg, sind in der Regel 45 bis 50 cm groß. Wunschmaße sind bei den Herstellern oft möglich. Sie sind handgefertigt, haben einen beweglichen, weichen Körper, Arme, Beine und Gesicht aus Softsilikon, welches sich weich anfühlt und sehr schnell Wärme aufnimmt. Im eigentlichen Sinn sind sie Sammlerstücke für „puppenvernarrte“ Menschen. Manchmal ersetzen sie in besonderen Situationen auch Kinder, verstorbene, verlorene oder nie bekommene. Das ist psychologisch ein eigenes Thema.

Versuchsweise habe ich die Reborn vom Flohmarkt mit in die Wohngemeinschaft genommen und ganz neutral präsentiert.

Sie wurde bei verschiedenen WG’lern ein voller Erfolg. Ein sehr unruhiger Herr konnte mit ihr auf dem Arm längere Zeit sitzen und sich so ausruhen. Eine ehemalige Kinderkrankenschwester hatte wieder eine Aufgabe. Ein sehr bewegungsaktiver Herr schob immer wieder den Kinderwagen durch den Garten und war abends müde genug, um zu schlafen. Er hat allerdings auch immer wieder eine Schubkarre geschoben und alles andere wäre auch möglich gewesen. Wir, die Mitarbeitenden, haben die Entscheidung, ob sie „echt“ oder Puppe ist, immer dem WG`ler überlassen und diese dann respektiert.

Das waren meine ersten Erfahrungen mit einer Reborn. „Schlecht“ behandelt wurde sie nie, ignoriert schon.

Es wird sich rührend um Emma gekümmert.

Hier für das home Lurup habe ich konkret eine neue Reborn gekauft. Sie heißt Emma. Dazu einen original Kinderwagen aus den 70er Jahren mit passender Bettwäsche. Dabei habe ich besonders an die Bewohnerinnen mit Demenz gedacht. Mit dem Wissen, dass ein Mensch mit eher fortgeschrittener Demenz sich selbst immer häufiger in der Mitte seines Lebens wahrnimmt, passen die 70er Jahre sehr gut, um Erinnerungen wecken zu können.

Unser Team nimmt den Kinderwagen samt Emma jeweils einen Tag pro Woche mit auf den jeweiligen Wohnbereich. Emma weckt immer und sofort das Interesse bei Bewohnerinnen, Bewohnern, Kollegen und Besuchern. Sie wird ausschließlich mit den Worten „das ist Emma“ vorgestellt. Jede/ Jeder entscheidet selbst, ob sie als Puppe oder Baby wahrgenommen wird. Wir korrigieren nicht, geben aber bei Nachfrage, ob es nicht doch eine Puppe ist, wahrheitsgemäß Auskunft. Wir selbst drücken uns neutral aus, geben also keine Richtung/ Entscheidung vor.

Emma weckt Erinnerungen an die eigenen Kinder.

Als erste Idee für unsere dementen Bewohnerinnen gedacht, geht das Projekt „Emma“ ganz eigene und großartige Wege. Es entstehen gute Gespräche mit Angehörigen, die eine andere Tiefe und Nähe (zu uns) haben. Kollegen und Kolleginnen nehmen Emma gerne auf den Arm und „spüren“. Sie bekommen einen neuen wertigeren Zugang zu den Aufgaben der sozialen Betreuung. Ihr Erstaunen über „Emmas“ Wirkung zeigt sich oft in Lachen und Kichern und leicht verlegenen Ausrufen, wie z.B: „äh, oh, das ist ja…, huch, was ist das denn?“

Nicht erwartet hätten wir, welche Wirkung „Emma“ auf unsere kognitiv fitten Bewohner:innen hat. Sie wird als Tröster für die Mittagsstunde erbeten. Sie stiftet friedliche Momente der Nähe zwischen erwachsenen Töchtern und ihren Müttern. Sie erinnert Ehepaare, die sich ein wenig verloren haben, an ihre Liebe. Eher verschwiegene Bewohnerinnen erzählen von ihrer eigenen Kindheit. Frauen, die nie Mutter waren, erzählen, wie es ihnen damit geht. Ja, auf Emma fällt auch so manche Träne.
Mit Emma auf dem Arm weint es sich gut und erleichternd. Väter, dement oder nicht, leben mit Emma die Gefühle aus, die ihnen in ihrer Zeit als Mann und Ernährer nicht zugestanden wurden. Die ihre Rolle in der damaligen Gesellschaft nicht vorsah. Besonders unsere Väter zeigen im Umgang mit Emma eine große Zärtlichkeit, unabhängig davon, ob sie als Puppe erkannt wird oder eben nicht. 

Liebevolle Momente.

Emma scheint heilsame Emotionen auszulösen und sie ist ein Fenster zur Kindheit. Sie vermittelt Geborgenheit, Wohlbefinden, lockt Zärtlichkeit und den Beschützerinstinkt.

Lachen und Weinen und pure Freude über so ein „süßes Dingelchen“.

Unsere Bewohner:innen mit Demenz lieben Emma einfach, der Kontakt löst Wohlfühlen aus, sie herzen, küssen und streicheln sie. Sie haben sie gerne bei sich, passen auf Emma auf, schieben stolz den Kinderwagen. Das alles haben wir erwartet und es freut uns. Die Reaktionen bei den kognitiv fitten Bewohner:innen haben wir noch nicht einmal erahnt und sie machen uns immer noch sprachlos. Die ausgelösten Emotionen rühren und bewegen uns sehr. Emma wird weiter ihre Besuche machen und wir bleiben umsichtig und sensibel.

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