Bewohner Herdegen Fehlhabers Liebe zur Kunst

Interview mit Tochter Ulrike

Mein Vater Herdegen Fehlhaber wurde am 03.06.1935 in Prenzlau geboren. Er war damals wohl ein Frühchen und hat sein erstes Lebensjahr überwiegend im Krankenhaus verbracht. Während seiner Pflichtzeit bei der Armee – nach dem Krieg – hatte er das Glück, Kulissen malen zu dürfen für eine Varietee-Gruppe, die zur Unterhaltung der Soldaten umherreiste.  Danach machte er eine Ausbildung zum Gebrauchswerber – heute würde man Schaufensterdekorateur sagen. Nebenbei besuchte er in Zwickau eine Mal- und Zeichenschule und bewarb sich später an der Hochschule für Grafik und Buchkunst und hat diese mit Diplom „Gut“ 1965 abgeschlossen. 
Anschließend ging er als freischaffender Künstler nach Frankfurt Oder. Mein Vater hat so bis zur Wende 1990 den Lebensunterhalt unserer Familie verdient. Es gibt in Frankfurt Oder und Umgebung einige seiner Kunstwerke an Bauwerken, die auch heute noch bewundert werden können, wie eine über zwei Meter große Metallplatte in der Nähe des Rathauses von Frankfurt Oder.
Im Rentenalter, so ca. ab dem Jahr 2000, begann die Zeit, in der die Malerei als Hobby wieder eine größere Bedeutung bekam. Es entstanden pro Jahr etwa acht bis zehn Bilder. Diese waren in den ersten Jahren noch sehr realistisch und zeigten Szenen aus seinem Alltag, in den späteren Jahren wurde die Malerei dann immer abstrakter. Mein Vater lebte allein in seinem Einfamilienhaus mit Garten und versorgte sich und das Grundstück selbst. Im November 2021 veränderte ein Sturz sein ganzes Leben. Er brach sich den linken Arm und lag bis zum Auffinden nach dem Sturz 48 Stunden in der Wohnung. Dadurch war er anfangs auch sehr verwirrt und durch den Armbruch konnte er den Alltag nicht mehr bewältigen. So kam er in das home Till.

Die Bilder werden zunächst mit Kohle auf die Leinwand skizziert.
Die Bilder von Herdegen verschönern auch unsere homes Till und Moyland.

Sie hatten erzählt, dass es Ihnen sehr wichtig war, ein Zimmer zu bekommen, in dem Ihr Vater seine Staffelei aufstellen kann. Was bedeutet das Malen für ihn und inwieweit hilft es ihm?

Nachdem klar wurde, dass ein weiterer Aufenthalt im gewohnten Umfeld nicht mehr möglich war, musste ich eine Lösung finden. Mir war klar, dass ich meinen Vater in meine Nähe holen musste, da 640 km zum Pendeln einfach viel zu weit waren. 
Ich schrieb einige Einrichtungen am Niederrhein an – ich wollte ein Zimmer im ländlichen Bereich und er sollte die Möglichkeit haben, dort auch zu malen. Seine Kreativität lässt sich nicht einsperren – er muss sich über die Malerei ausdrücken können. Für ihn wäre es, als würde man ihm verbieten, zu sprechen, wenn er nicht malen könnte. 

Hinzu kommt, dass mein Vater gern für sich ist – schon seine Zwillingsschwester berichtet, dass er als Kind immer für sich war. Er weigert sich zum Beispiel, im Speiseraum zu essen. Er mag nicht zu sehen, wie andere Menschen essen, da ist er eigen, aber diese Eigenheit ist hier im Heim zum Glück kein Problem. Durch die Malerei hat er viel von seinem Selbst wiedergefunden. Als ich ihn im Januar 2022 ins Pflegeheim brachte, war er nur noch ein Schatten seiner selbst und kaum noch kreativ. Nach einem Monat hatten wir dann endlich eine Staffelei im Zimmer und es dauerte nicht lange, da entstand das erste Bild. Ab da war der Bann gebrochen. 

Kurz darauf durfte er in das Premium-Zimmer im newcare Home Till umziehen. Ein 36 m² Zimmer im Dachgeschoss mit Blick in die weite Ferne – man kann bei gutem Wetter sehr weit gucken und es gibt immer was Neues zu entdecken. Seit dem Umzug malt er eigentlich nur noch abstrakt. Er kann nicht sagen, was er malt. Die Bilder kommen einfach auf die Leinwand und niemand – auch nicht der Künstler selbst – weiß, was es darstellt. Das Schöne ist, dass man daher unendlich viel in die Bilder interpretieren kann, was ich persönlich sehr spannend finde. 

Was hat sich verändert/bewirkt, dass Ihr Vater in seinem Zimmer frei malen kann? Vielleicht sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrem Vater?

Ich glaube, dass durch die Beschäftigung mit Dingen, die er mochte, sein Gehirn neue Wege gefunden hat, um die Information weiterzuleiten. Es ist ja erwiesen, dass sich auch im Alter noch neue Strukturen bilden können. Mein Vater ist für mich der Beweis, dass es so ist. Unwichtige Kleinigkeiten hingegen fallen immer gleich wieder aus dem Kopf – wie ich es nenne. Wenn man ihn fragt, wann er geboren ist, sagt er sein Geburtsdatum. Fragen Sie ihn, wie alt er ist, weiß er es nicht. Einem Gutachter hat er geantwortet: Ich bin Künstler und kein Rechner. 😉

Ich bin froh, dass er ein ausgefülltes Leben hat. Er ist „auf der Arbeit“ und ist glücklich. Als letztens ein Besuch ihm erzählte, dass er jetzt in Rente gegangen wäre und nicht mehr arbeiten muss, antwortete mein Vater: „Ich könnte niemals nicht arbeiten.“ Seine Malerei gibt ihm Struktur und eine Aufgabe.

Seine Bilder hängen aktuell vor allem in den homes Moyland und Till. Wo hat Ihr Vater seine Bilder früher ausgestellt?

In Frankfurt Oder gibt es eine Galerie B, dort wurden ab und zu Ausstellungen gemacht. Es gab da auch jährlich Veranstaltungen, bei denen Künstler ihre Werke und sich selbst präsentiert haben. 

Wie ich jetzt weiß, sind einige Kunstwerke meines Vaters auch im Stadtarchiv und dem Stadtmuseum Frankfurt Oder. 

All seine Bilder können auch käuflich erworben werden. Ich habe für ihn auch eine Homepage erstellt, damit sein Werk bewundert werden kann (www.herdegen-fehlhaber.hpage.com) – außerdem gibt eine Facebook- und Etsyseite.

Was bedeutet es für Ihren Vater, seine Bilder in den Gängen der homes Till und Moyland jeden Tag hängen zu sehen? 

Jedes Mal, wenn er dort lang geht, freut er sich. Anfangs hatte er etwas Angst, dass seinen Bildern ein Leid geschehen könnte, wenn sie so auf den Gängen hängen, aber diese Befürchtung gibt es nun nicht mehr. Er hat gelernt, dass alle achtsam mit den Bildern umgehen und ist sehr stolz!

Auch wieder ein Beweis, dass man sich trotz Demenz, neue Informationen merken kann. Dass seine Bilder im anderen Heim ausgestellt sind, hat er nicht vergessen.

Wie läuft die „Entstehung“ eines Bildes ab bzw. wie ist hier der Prozess? Malt er bewusst etwas Bestimmtes, oder wählt bewusst bestimmte Farben aus?

Alle seine Bilder haben einen aufgemalten Rahmen. Alle seine Bilder haben das Format 70 × 70 cm – ein anderes Format möchte er nicht mehr malen – das wäre ihm entweder zu klein oder zu groß. 

Zuerst wird immer der Rahmen gemacht – hierfür nutzt er unterschiedliche Farben, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass sich dunkle Farben besser eignen. Die Bilder können dank dieser Technik auch problemlos ohne Rahmen hängen, weil man nirgends die weiße Leinwand sieht. In einem zweiten Schritt wird mit Kohle eine Form gezeichnet – manchmal ziemlich wild und manchmal sehr geometrisch. Ich rede immer von den runden oder von den eckigen Bildern. Dann macht er sich Gedanken, welche Farben wo im Bild vorkommen sollen und dann geht es immer recht schnell – im Moment braucht er oft weniger als eine Woche, um ein Bild fertig zu stellen und heute – Anfang März 2023 – gibt es bereits 14 Gemälde von 2023. Abschluss ist dann immer das Signum HF2023 für dieses Jahr und die drei Vögel.

Was macht Ihren Vater abseits der Kunst #glücklich?

Mein Vater trinkt gern sein alkoholfreies Bier – das bringe ich ihm wöchentlich mit – Wasser mag er nicht und immer nur Kaffee wäre auch nichts für ihn. Und zur Belohnung gönnt er sich ab und zu einen Weinbrand – wenn er ein Bild fertig hat oder er einfach mit seinem Tagwerk zufrieden ist. 

Mein Vater legt viel Wert auf Ordnung und Routinen. Alles hat seinen Platz und bestimmte Abläufe müssen immer gleich sein. Aber da hat sich das Pflegeteam wohl inzwischen dran gewöhnt. 

Ich glaube, er ist auch glücklich, dass ich ihn mindestens wöchentlich besuche und wenn ich dann meine Hunde mitbringe, freut sich nicht nur mein Vater, sondern auch die Heimbewohner, die wir unterwegs treffen. 

Du möchtest auch ein Bild unseres ehemaligen Bewohners Herdegen für Deine Wohnung oder Einrichtung? Kein Problem! Schreib einfach eine Mail an herdegen.fehlhaber@email.de! 

Anm.d. Redakt.: Unser Bewohner Herdegen Fehlhaber ist leider im verstorben, das Interview hat uns aber so berührt und zeigt, wie groß seine Leidenschaft für die Kunst war, dass wir es an dieser Stelle noch einmal aufnehmen wollten. Wir möchten uns an dieser Stelle vor allem noch einmal bei seiner Tochter Ulrike für das schöne Interview bedanken. 

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